Hyposensibilisierung: So funktioniert die Immuntherapie bei Allergien
Fast jeder Dritte ist betroffen: Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) leiden etwa 30,9 Prozent der deutschen Bevölkerung an einer Allergie auf Aeroallergene (durch Luft übertragene Allergie auslösende Substanzen). Dabei reicht das Spektrum von Pollenschnupfen über Tierhaar- und Hausstaubmilbenallergie bis hin zur seltenen Schimmelpilzallergie.
Etwa acht Prozent der Menschen entwickeln ein allergisches „Asthma bronchiale“. Eine effektive Methode zur Behandlung dieser Allergien ist die spezifische Immuntherapie (SIT), auch bekannt als Hyposensibilisierung. PD Dr. med. Nicola Wagner, Sprecherin des interdisziplinären Allergiezentrums der Uniklinik Erlangen, erklärt die Behandlung und ihre Wirkung.
Das Wichtigste in Kürze
Allergien und Behandlung: Aus einer durch die Luft übertragenen Allergie wie Pollen-, Hausstaubmilben- oder Tierhaarallergie kann sich allergisches Asthma entwickeln. Eine langfristig wirksame Behandlungsmethode ist die spezifische Immuntherapie (SIT), auch Hyposensibilisierung genannt.
Therapieformen: Es gibt zwei Hauptarten: SCIT (Spritzen) und SLIT (Tabletten/Tropfen unter die Zunge). Beide Therapieformen müssen über mindestens drei Jahre hinweg durchgeführt werden und werden vom Arzt individuell angepasst.
Wirksamkeit und Ziel: Die SIT lindert nicht nur Symptome, sondern bekämpft die Ursachen der Allergie und kann deren Fortschreiten verhindern. Sie führt zu mehr Lebensqualität und geringerer Medikamentenabhängigkeit.
Voraussetzungen und Nebenwirkungen: Die Therapie ist ab dem Kindesalter möglich, wird von speziell geschulten Ärzten durchgeführt. Die Nebenwirkungen sind meist mild; bestimmte Erkrankungen schließt die Behandlung allerdings aus.
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- Was ist eine Hyposensibilisierung?
- Welche Arten von spezifischen Immuntherapien gibt es?
- Hyposensibilisierung bei Insektengiftallergie
- Was ist besser: Tabletten oder Spritzen?
- Wie sinnvoll ist eine spezifische Immuntherapie?
- Wie hoch ist ihre Erfolgsquote?
- Wann lohnt sich eine Hyposensibilisierung?
- Was bekommt man bei einer Hyposensibilisierung gespritzt?
- Wie lange dauert eine Hyposensibilisierung?
- Welcher Arzt führt eine solche Immuntherapie durch?
- Welche Nebenwirkungen hat eine Hyposensibilisierung? Wie lange halten die Reaktionen auf eine Hyposensibilisierung an?
- Welche Nachteile hat die SIT?
- Wann sollte man keine Hyposensibilisierung machen?
- In welchem Alter beginnt die Hyposensibilisierung?
- Was darf man nach einer Hyposensibilisierung nicht machen? Kann man während einer SIT Allergietabletten nehmen?
- Wie fühlt man sich nach einer Hyposensibilisierung? Wird das Immunsystem geschwächt?
- Wie viel kostet eine Hyposensibilisierung? Wird die Therapie von der Krankenkasse bezahlt?
Was ist eine Hyposensibilisierung?
„Die spezifische Immuntherapie verfolgt das Ziel, das Immunsystem an bestimmte, als fremd erkannte Substanzen (Allergene) wieder zu gewöhnen. Das bedeutet: Der Körper lernt, harmlose Stoffe wie Pollen oder Hausstaubmilben nicht mehr als gefährlich einzustufen“, sagt PD Dr. med. Nicola Wagner.
Bei Allergikern reagiert das Immunsystem nämlich über: Es produziert Antikörper und löst damit eine Kettenreaktion aus, die Allergiesymptome wie Niesen, Juckreiz, Atembeschwerden oder tränende Augen hervorruft – oder z. B. bei Insektengift bis hin zu einem allergischen Schock führen kann.
Im Rahmen dieser Allergie-Therapie wird dem Körper, beginnend mit kleinen Mengen, das entsprechende Allergen regelmäßig zugeführt. So wird eine Toleranz gegenüber dem Allergen erzielt – der Körper ändert seine Immunantwort wieder.
Welche Arten von spezifischen Immuntherapien gibt es?
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Varianten: der subkutanen Immuntherapie (SCIT) und der sublingualen Immuntherapie (SLIT).
Bei der subkutanen Immuntherapie (SCIT) wird das Allergen in regelmäßigen Abständen unter die Haut gespritzt, zunächst in Abständen von ein bis zwei Wochen. Bei einer ganzjährigen Therapie wird der Abstand im Verlauf auf meist monatliche Gaben verlängert. Die Behandlung findet immer in der Arztpraxis statt.
Bei der sublingualen Immuntherapie (SLIT) hingegen ist der Ablauf anders: Hier wird das Allergen in Form von Tabletten, Tropfen oder Sprays unter der Zunge verabreicht – nach einer ersten Anwendung unter ärztlicher Aufsicht erfolgt die tägliche Einnahme zu Hause.
Beide Therapieoptionen haben gemeinsam, dass sie mindestens drei aufeinanderfolgende Jahre durchgeführt werden sollten, um den gewünschten Effekt zu erzielen.
Hyposensibilisierung bei Insektengiftallergie
Insektengiftallergie: Hier wird die Hyposensibilisierung nur dann vorgenommen, wenn der Patient unter schweren Allgemeinreaktionen leidet oder eine vital bedrohliche Anaphylaxie erlitten hat. Im Gegensatz zu allergischen Reaktionen im Allgemeinen, die weniger schwerwiegend und oft lokal begrenzt sind, treten bei der Anaphylaxie schwere bis lebensbedrohliche Reaktionen am ganzen Körper auf.
Diese können die Haut, den Magen-Darm-Trakt, die Atemwege sowie das Herz-Kreislauf-System betreffen. Aufgrund der stattgehabten Anaphylaxie bei Insektengiftallergikern werden die Patienten bei der Therapieeinleitung mit Wespengift oder Bienengift stationär für ein paar Tage aufgenommen. Eine weiterführende Behandlung kann bis zu fünf Jahre dauern – bei bestimmten Fällen sogar lebenslang.
Was ist besser: Tabletten oder Spritzen?
Welche Variante zum Einsatz kommt, hängt insbesondere von der Ausprägung der Allergie, den verfügbaren Präparaten für das auslösende Allergen, den Begleiterkrankungen des Patienten und der individuellen Lebenssituation ab. „Die Entscheidung sollte immer gemeinsam mit dem behandelnden Arzt getroffen werden“, rät die Expertin.
Wie sinnvoll ist eine spezifische Immuntherapie?
„Die spezifische Immuntherapie (SIT) ist derzeit die einzige Therapieform, die gezielt an den Ursachen ansetzt. Damit können wir die Lebensqualität der Patienten langfristig verbessern“, sagt die Ärztin. Die SIT kann nicht nur bestehende Symptome wie Nasenlaufen, Niesen und Augenjucken lindern, sondern auch vorbeugend wirken – etwa indem sie den sogenannten Etagenwechsel verhindert.
Dieser beschreibt den Prozess, bei dem sich ein Heuschnupfen von den oberen auf die unteren Atemwege ausbreitet und ein allergisches Asthma entsteht. Auch bei bereits bestehendem Asthma kann die Immuntherapie helfen. Bei erfolgreichem Ansprechen reduziert sie die Reizbarkeit der Bronchien, verringert die Häufigkeit der Anfälle und senkt den Bedarf an entzündungshemmenden Medikamenten wie Kortikosteroiden.
Wann lohnt sich eine Hyposensibilisierung?
Eine SIT gegen Aeroallergene lohnt sich besonders dann, wenn Beschwerden einer Allergie über mindestens zwei Jahre hinweg auftreten und sich durch Medikamente oder Allergenvermeidung (sogenannte Allergenkarenz) nicht ausreichend in den Griff bekommen lassen.
Bei mittelschwerer bis schwerer allergischer Rhinitis (Heuschnupfen) oder bei allergischem Asthma bronchiale stellt die Therapie eine wirksame Behandlungsoption dar. Insbesondere Insektengiftallergiker erwerben wieder einen sehr guten Schutz vor weiteren Anaphylaxien.
Was bekommt man bei einer Hyposensibilisierung gespritzt?
Die eingesetzten Allergenextrakte sind genau auf die jeweilige Allergie abgestimmt. Dazu gehören:
- Pollen (z. B. Gräser, Birke)
- Hausstaubmilben
- Insektengifte (z. B. Wespengift, Bienengift)
Tierallergene (beispielsweise bei Hundeallergie oder Katzenallergie) und Schimmelpilze sind seltene Ausnahmen.
Welcher Arzt führt eine solche Immuntherapie durch?
Ärzte mit allergologischer Erfahrung/Zusatzqualifikation – beispielsweise aus den Bereichen HNO, Dermatologie, Kinderheilkunde, Pneumologie oder Innere Medizin – leiten die Behandlung ein und begleiten sie. Sie führen die Diagnostik durch, wählen das passende Präparat und kontrollieren regelmäßig den Verlauf.
Welche Nebenwirkungen hat eine Hyposensibilisierung? Wie lange halten die Reaktionen auf eine Hyposensibilisierung an?
Wie bei jeder Therapie können auch bei der SIT Nebenwirkungen auftreten. Bei der SCIT sind lokale Reaktionen wie Rötung, Schwellung oder Juckreiz an der Einstichstelle häufig. Diese verschwinden meist nach kurzer Zeit und lassen sich gut durch Kühlen behandeln. In sehr seltenen Fällen kann es zu einer systemischen allergischen Reaktion kommen.
Bei der sublingualen Therapie (SLIT) können in der Anfangsphase Beschwerden im Mundraum wie Juckreiz oder leichte Schwellungen der Zunge auftreten. Auch können zum Beispiel Übelkeit oder Bauchschmerzen Nebenwirkungen sein. In der Regel klingen die Symptome rasch wieder ab und besser sich im Laufe der Therapie. Im Falle von Entzündungen/Verletzungen im Mundbereich, Infekten etc. muss die Therapie ausgesetzt bzw. angepasst werden.
Bei der subkutanen Allergen-Immuntherapie (SCIT) ist wegen der sehr selten auftretenden allergischen Allgemeinreaktion eine Nachbeobachtung von 30 Minuten in der Arztpraxis Pflicht. Diese können – sehr selten – auch bei der SLIT eintreten.
Welche Nachteile hat die SIT?
Ein Nachteil der SIT ist der zeitliche Aufwand. Bei der subkutanen Immuntherapie (SCIT), also der Behandlung mit Spritzen, müssen Patienten über drei Jahre hinweg regelmäßig Arzttermine wahrnehmen. Bei der SLIT, der Einnahme von Tabletten oder Tropfen, kommt es besonders zu Beginn häufig zu lokalen Reizungen im Mundraum. Diese Beschwerden sind zwar meist vorübergehend, können aber unangenehm sein und in manchen Fällen dazu führen, dass Patienten diese Allergie-Therapie vorzeitig abbrechen.
Wann sollte man keine Hyposensibilisierung machen?
Bestimmte Erkrankungen schließen eine Immuntherapie aus. Dazu gehören etwa ein unkontrolliertes Asthma bronchiale, schwerwiegende Herz-Kreislauferkrankungen, aktive Krebserkrankungen und schwere Autoimmunerkrankungen. Bei manchen weiteren Erkrankungen sowie der erforderlichen Einnahme bestimmter Medikamente erfolgt eine Abwägung von Nutzen und Risiken gemeinsam mit dem behandelnden Arzt. Auch während einer Schwangerschaft wird keine neue Behandlung begonnen. Wenn man krank ist, z. B. unter einem fieberhaften Infekt leidet, muss die SLIT pausiert bzw. die SCIT-Injektion verschoben werden.
Was darf man nach einer Hyposensibilisierung nicht machen? Kann man während einer SIT Allergietabletten nehmen?
Nach einer Injektion sollte mankörperliche Anstrengung wie Sport, Saunabesuche etc. und auch Alkohol für etwa 24 Stunden vermeiden. Während der Therapie können weiterhin Antihistaminika eingenommen werden.
Wie fühlt man sich nach einer Hyposensibilisierung? Wird das Immunsystem geschwächt?
Zu Beginn der Behandlung können leichte Beschwerden wie lokale Schwellungen an der Injektionsstelle in den ersten Tagen auftreten. Diese sind ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem sich mit dem Allergen auseinandersetzt. „Das Immunsystem wird nicht geschwächt“, sagt PD Dr. med. Nicola Wagner.Wichtig aber ist, dass dem behandelnden Arzt Rückmeldung gegeben wird, wie verträglich das Präparat war.
Wie viel kostet eine Hyposensibilisierung? Wird die Therapie von der Krankenkasse bezahlt?
Die Kosten für eine SIT variieren je nach Methode und Dauer der Behandlung. Die Heimat Krankenkasse übernimmt die Kosten für die Hyposensibilisierung, sofern die Therapie ärztlich verordnet wurde.
Die Erfahrung zeigt: Insgesamt ist die Hyposensibilisierung eine effektive Allergie-Therapie, die nicht nur die Symptome lindert, sondern auch die Ursache der Allergie bekämpft, und verhindert, dass sich die Allergie verschlimmert oder fortschreitet. Für viele bedeutet das: weniger Einschränkungen im Alltag, mehr Lebensqualität.

Von PD Dr. med. Nicola Wagner
PD Dr. med. Nicola Wagner ist Oberärztin der Hautklinik und Sprecherin des interdisziplinären Allergiezentrums des Universitätsklinikums Erlangen.
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